Pro-Palästina-Demos in Jordanien: Massenhaft in Haft ​

Jordanien hat im Zusammenhang mit Palästina-Demos Hunderte Menschen festgenommen. Auch andere arabische Länder unterdrücken Proteste.

Demonstranten tragen Fahnen und Transparente während einer Demonstration zur Unterstützung der Palästinenser im Gazastreifen inmitten des anhaltenden Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen islamistischen Gruppe Hamas in Amman, Jordanien 3. Mai 2024

Nach propalästinensische Protesten in Amman landeten Hunderte Menschen innerhalb von wenigen Tagen in Haft Foto: Jehad Shelbak/reuters

AMMAN taz | Es waren Tweets über propalästinensische Proteste, die Chair al-Dschabri hinter Gitter brachten. Eine Kritik am Vorgehen der Polizei, die Tränengas auf die Protestierenden schoss, sagt er. Eine Gefahr für den sozialen Frieden und eine Beleidigung der Institutionen, fand offenbar die jordanische Justiz.

Al-Dschabri ist ein jordanischer Journalist, er arbeitet für die türkische Nachrichtenwebseite Arabic Post. Schauplatz der Kontroverse ist die jordanische Hauptstadt Amman, in der seit Beginn des Gaza-Kriegs jede Woche Menschen auf die Straße gehen. Sie protestieren gegen den Krieg, gegen Israel und all diejenigen, die es unterstützen.

Ende März eskalierte die Lage. Gruppen von Demonstrierenden marschierten in Richtung der schwer bewachten israelischen Botschaft, die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein. Hunderte Menschen landeten innerhalb von wenigen Tagen in Haft.

Als al-Dschabri vom Protest nach Hause kam und seine Tweets in die Welt setzte, ahnte er nichts. Erst zwei Tage später zitierte ihn die Polizei aufs Revier. Er wurde festgenommen und von der Cybercrime-Einheit verhört, erzählt er der taz. Dann wurde er zur Staatsanwaltschaft gebracht und auf Grundlage eines neuen, umstrittenen Cybercrime-Gesetzes angeklagt. Fünf Tage lang blieb er in einer überfüllten Zelle des Marka-Gefängnisses, bevor er am 30. März auf Kaution freikam.

Momentan wartet der 34-Jährige auf sein Verfahren. Die Kurznachrichten sind zwar nicht mehr online, doch die Klage bleibt. „Die Haftzustände waren unmenschlich, ich wurde zusammen mit Verbrechern, Mördern und Dieben eingesperrt“, erinnert er sich. „Aber wir sind keine Verbrecher und auch keine Verräter unserer Heimatländer.“

Machtmissbrauch durch Verwaltungshaft

Al-Dschabri ist einer von etwa 1.500 Menschen, die in Jordanien laut Amnesty International seit Oktober in Verbindung mit den Protesten festgenommen wurden. 500 sollen allein seit März in Haft gelandet sein. Mehrere sind wieder freigekommen, andere bleiben in Haft.

So wie Atija Abu Salem, syrischer Geflüchteter und Medien-Student, der nach Angaben seines Anwalts am 9. April unterwegs war, um einen propalästinensischen Protest nahe der israelischen Botschaft zu filmen. Sicherheitskräfte nahmen ihn und seinen Kommilitonen fest. Jetzt droht ihm die Abschiebung nach Syrien. Dabei sei noch keine offizielle Anklage erhoben worden, unterstreicht sein Anwalt.

Eine entsprechende Anfrage an die jordanischen Behörden blieb unbeantwortet, Amnesty International bestätigt jedoch in jüngsten Berichten die Schilderungen der zwei Fälle. Ende März hatte die jordanische Polizei in einer öffentlichen Mitteilung geschrieben, die Sicherheitskräfte hätten bei den Protesten „äußerste Zurückhaltung“ gezeigt, seien aber wegen Angriffen und Rechtsverletzungen verschiedener Art gezwungen worden, Menschen zu verhaften. Sie postete ebenfalls Videos von brennendem Müll in den Gassen des palästinensischen Flüchtlingslagers Baqa’a in Nord-Amman.

Doch Menschenrechtsvereine schlagen Alarm. „Was wir sehen und uns Sorgen macht, ist die Nutzung eines bekanntlich repressiven Cybercrime-Gesetzes, um Menschen zu überführen, die ihr Recht auf freie Meinung ausüben“, sagt Hiba Zayadin, Rechercheurin bei Human Rights Watch, „sowie der Machtmissbrauch durch Gouverneure und andere Funktionäre, die die Verwaltungshaft ausnutzen.“

Dabei spielt Zayadin auf Fälle an, in denen Festgenommene von Rich­te­r*in­nen oder Staatsanwaltschaft freigelassen wurden – nur um kurze Zeit später auf Anordnung des Gouverneurs wieder verhaftet zu werden.

Ähnlich drückt sich Amnesty International aus. Solche Fälle zeigten eine „flagrante Verletzung des Rechts auf faire Verfahren“, schreibt die Mitarbeiterin Reina Wehbi. Die jordanische Anwaltskammer hatte bereits im März eine Hotline eingerichtet, an die sich inhaftierte De­mons­tran­t*in­nen wenden können, um sich kostenfrei verteidigen zu lassen.

Festnahmen auch in anderen arabischen Ländern

Seit Beginn des Gaza-Kriegs befindet sich Jordanien in einer komplizierten Lage, politisch wie geografisch. Eingebettet zwischen Israel, Syrien, dem Irak und Saudi-Arabien in einem ressourcenarmen, doch konfliktreichen Gebiet, ist das Land von Kooperationen mit Israel und dem Westen abhängig.

Gleichzeitig hat ein erheblicher Teil seiner Bevölkerung palästinensische Vorfahren, Palästina ist hier ein besonders emotional aufgeladener Begriff. De­mons­tran­t*in­nen kritisieren die Abkommen mit Israel – und damit auch mehr oder weniger offenkundig das Handeln der Regierung. Die Angst ist offenbar groß, dass die Protestwellen ausufern könnten.

Doch das Königreich ist nicht das einzige arabische Land, das eine eventuelle Eskalation der Proteste in Atem hält. In Ägypten sind seit Oktober mehrere Dutzend Protestierende vorläufig in Haft gelandet, nachdem Parolen gegen die Regierung gefallen waren.

In Marokko hat ein Gericht einen propalästinensischen Aktivisten kürzlich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wegen eines Online-Posts, in dem er die politische Normalisierung zwischen seinem Land und Israel kritisierte.

Saudi-Arabien hat laut der US-Nachrichtenagentur Bloomberg ebenfalls mehrere Menschen wegen israelkritischer Online-Posts verhaftet. Und im Golfstaat Bahrain haben Bereitschaftseinheiten der Polizei die Proteste bereits Ende Oktober aufgelöst.

„Arabische Regierungen haben prinzipiell nichts dagegen, dass ihre Bevölkerungen gegen Israels Politik protestieren“, erläutert Nahost-Experte Joost Hiltermann. „Aber sie wollen die Proteste im Zaum halten, damit diese nicht anfangen, die autoritären Machthaber selbst zum Ziel zu machen.“ Die Menschen hätten schließlich zu Hause ebenso einiges, worüber sie sich beschweren könnten.

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